An den deutschen Leser
Für viele Zeitgenossen, die an das Lesen auflagenstarker, in ihrer Mehrzahl banaler Presseorgane gewohnt sind, ist das im repräsentativen demokratischen System zum Ausdruck kommende politische Ideal heute sowohl im Denken als auch im Handeln auf dem Höhepunkt der Aktualität angelangt.
Tatsächlich bestand einer der wichtigsten Unterschiede zwischen der Welt diesseits und der Welt jenseits des heute niedergerissenen Eisernen Vorhangs in der Vorherrschaft der Demokratie auf der einen und ihrer völligen Abwesenheit auf der anderen Seite. Und einer der von der internationalen Presse am häufigsten angeführten Gründe für die Genug- tuung, mit der die Öffentlichkeit im Westen und wohl auch in einem überwiegenden Teil des Ostens die fortlaufenden Veränderungen feiert, die Gorbatschow in der sowjetischen Welt durchführt, besteht darin, daß diese nach dem Dafür- halten vieler die Hoffnung aufkommen lassen, durch die Reformen möge die derzeit für viele erst im Anfangsstadium steckende Demokratisierung schließlich Schritt für Schritt die volle Gültigkeit eines repräsentativen demokratischen Regimes erreichen.
Es geht hier nicht darum, die Objektivität dieser Erwartungen zu untersuchen. Wir haben sie hier lediglich angeführt, um zu zeigen, daß die repräsentative Demokratie von vielen Zeitgenossen als ein allgemein gutgeheißenes Ziel verstan- den und mit Freude angestrebt wird.
Damit aber eine zukünftige Weltordnung, im Teil wie im Ganzen, die Früchte zu bringen vermag, die so viele von ihr erwarten, ist es unerlässlich, daß die politische Demokratie sowohl von denen, die ihr Beifall klatschen, als auch von denen, die zwar nicht so weit gehen, sie aber dennoch auf ihrem derzeitigen Höhepunkt mit Wohlwollen betrachten, wirklich ernst genommen wird.
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Die nahen und entfernten Träger der repräsentativen Demokratie haben also durchaus das Recht, ja sogar die Pflicht, von den Medien ständig und unnachgiebig zu verlangen, daß sie dem Volke stets „die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit“ sagen, wie es in der ehrwürdigen, bündigen Formel so schön heißt. Die Wahr- heit muss dem Volke ohne „beschönigende“ Umschweife nahegebracht werden, damit ihre Objektivität keinen Verlust erleide, aber natürlich auch ohne nicht weniger „beschönigende“ Unterschlagungen. Wenn das Volk entscheiden soll, muss es auch die seine Entscheidung bedingenden Tatsachen in ihrer ganzen Tragweite kennen lernen, denn andern- falls wird die politische Demokratie zur Farce, und von dem Punkt, in dem der Westen und der Osten ihre Überein- stimmung gefunden zu haben glauben, bleibt nichts als eine plumpe Lüge.
Die Folge davon wäre, daß Ost und West sich auf eine Utopie zubewegen, auf eine Leere, auf eine Katastrophe welt- weiten Ausmaßes.
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Die zahlreichen Politiker, Denker und Schriftsteller, die es als ihr Recht und ihre Pflicht ansehen, der Öffentlichkeit durch „vorsichtiges“, interessenfreies Schweigen den ein oder anderen Teil der politischen Wirklichkeit vorzuenthal- ten, damit die weltweite Übereinkunft auf dem Gebiet gemeinsamer demokratischer Anstrengungen nicht hinausgezö- gert werde, erkennen scheinbar nicht, daß sie damit eben diese Wege zur Konvergenz unwirklich werden lassen. Sie merken nicht, daß die Massen, wenn sie sich auf geschminkte oder unvollständige Informationen verwiesen sehen, un- willkürlich den hohlen Klang ihrer Schritte zu spüren beginnen. Sie verlieren allmählich das Interesse an dem unwirkli- chen politischen Panorama, das ihnen von den Medien vorgegaukelt wirt. Der Überdruss macht sich auf der politischen Szene breit. Zweifel schleichen sich in die Herzen der Wähler. Die Politiker verlieren ihre Repräsentativität und begin- nen, sich um sich selbst, um ihre Mythen, ihre „Geheimnisse“, ihre Interessen zu drehen. Niemand mehr fühlt sich zu ihnen hingezogen oder von ihnen beeinflusst. Auch sie selbst interessieren sich für niemanden mehr. Die Politiker wer- den zum Baum dessen Wurzeln abgestorben sind. Ihr Ende naht. Der Sturmwind einer größeren Krise ideologischer oder kultureller Natur oder eben einer Gesellschafts- oder Wirtschaftskrise wirft sie um und mit ihnen stürzt auch die Demokratie, die sie verkörperten. Dies kann aber auch durch den starken Arm eines Holzfällers geschehen – mit ande- ren Worten, eines auf Allmacht erpichten Demagogen.
Wehe der durchweg demokratisierten Welt von morgen wenn die universelle Demokratie zusammenstürzt und an ih- rer Stelle ihre unerbittliche Alternative das Haupt erhebt, die Gewaltherrschaft der Massen nämlich oder die der Om- niarchen.
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Die Demokraten mehr als sonst jemand sollten also in diesen Tagen, die von dem alles mitreißenden Strom der Me- dienmehrheit als Post-Kommunismus bezeichnet werden, nachdrücklichst Wert darauf legen, daß die Einführung sys- tematischer Verschönerungen und Unterschlagungen vermieden werde, und das Volk – alle Völker – „die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit“ erfahren.
Von diesen Gedanken ließ sich der Verfasser des jetzt in Deutschland zur Veröffentlichung kommenden Manifestes, Prof. Plinio Corrêa de Oliveira, eine hervorragende, auf dem ganzen amerikanischen Kontinent und in verschiedenen Ländern Europas bekannte Persönlichkeit, bei seiner Stellungnahme gegenüber folgenden Problemen leiten:
- Nehmen wir an, die kommunistischen Regierungen, Richtungen und Gruppierungen würden – als Kommunisten – tatsächlich vom Angesicht der Erde verschwinden. Eine Hypothese, die von einigen schon als sicher betrachtet, von andren aber mit Skepsis angesehen wird.
Auf jeden Fall stellt die Gruppe derer, die mit dieser Etikettierung oder ohne sie doch die Kader des internationalen Kommunismus bilden, weiterhin eine ungeheure Macht dar, denn sie beherrschen die Weiten Chinas und die Gelbe Welt des asiatischen Kontinents. Sie besitzen noch Reste der Macht im schwankenden Gebäude Sowjetrusslands. Sie überleben noch brodelnd in einer Reihe von Denkern und Männern der Tat in den „ehemaligen“ kommunistischen Ländern, in fest zusammenhaltenden disziplinierten Kommunistischen Parteien fast überall auf der Welt.
- Für einen beträchtlichen Teil der Erde ist es keineswegs so gewiss, daß die Reformen Gorbatschows von allen Kommunisten auch wirklich angenommen wurden. So hat sich zum Beispiel Fidel Castro, der kubanische Diktator, gegen diese Maßnahmen erhoben und seine Bereitschaft bekundet, die kommunistische Orthodoxie weiterhin zu vertei- digen, selbst wenn dies „sonst niemand mehr auf der Welt tun sollte“ (O Estado de São Paulo, 31.10.89). Es handelt sich schließlich um einen Diktator, der in katholischen Kreisen Brasiliens einen solchen Einfluss genießt, daß der Kar- dinal-Erzbischof von São Paulo, Paulo Evaristo Arns, ihm zu Weihnachten 1988 einen Brief zukommen ließ, in dem er ihn als „Liebster Fidel“ ansprach und zu seinem offiziell gegen die Perestrojka gerichteten System folgendes verlauten ließ: „Heute darf Kuba stolz darauf sein, auf unseren durch die Auslandsverschuldung so verarmten Kontinent ein Beispiel sozialer Gerechtigkeit zu sein“ (O Estado de São Paulo, 19.1.89).
Der Kommunismus besteht also weiter, und er wird auch in Zukunft auch eine beträchtliche Macht ausüben, selbst wenn die Reformen Gorbatschows keinen kommunistischen Zweck verfolgen sollten, und er sie auch tatsächlich bis zum Ende durchzuführen vermöchte – was ja auch nur zwei Hypothesen sind.
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Demnach ist das vorliegende Manifest also von dem Wunsche getragen, die zwar geringer gewordene, aber dennoch stark genug gebliebene Macht des Kommunismus näher zu untersuchen, und es fragt, was für neue Aspekte zu den be- reits bekannten hinzukommen, wenn wir die kommunistische Wirklichkeit ohne ihre Masken und Verstellungen an- schauen, so wie sie sich, aus Anlass der von Gorbatschow betriebenen Veränderungen vor den Augen einer erschro- ckenen Welt im Verlaufe dieser Tage der Hoffnung und Ungewissheit offenbart hat.
Auf diese Fragestellung antwortet Prof. Plinio Corrêa de Oliveira mit einer vielen vielleicht unangebracht erschei- nenden Offenheit. Ihnen wäre es wohl lieber, wenn der Finger nicht in gewisse Wunden gelegt würde. Die Antwort des Vorsitzenden des Nationalrates der brasilianischen TFP ist jedoch stets die gleiche: Nichts wäre vor allem zum jetzigen Zeitpunkt unangebrachter als der Weg verbrämter oder unterschlagener Informationen für die Öffentlichkeit und der dementsprechenden Verfälschung der repräsentativen politischen Demokratie, ausgerechnet in einem Augenblick, wo sie als die große Errungenschaft gefeiert wird, die der Westen schon seit langem sein eigen nennen darf, während die Völker des Ostens sich anzuschicken scheinen, sie im Laufe einer weltumspannenden Konvergenzbewegung zu erobern.
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Die vorliegende Analyse wurde ursprünglich zur Veröffentlichung in Brasilien verfasst. Der Autor erhält aber seit dem Erscheinen des Textes in seinem Heimatland so viele Anfragen aus amerikanischen und europäischen Ländern, daß er gern bereit ist, die Übersetzung und Veröffentlichung in den entsprechenden Ländern zu genehmigen.
Mit besonderer Genugtuung willigte er deshalb auch in den analogen Vorschlag ein, der über das TFP-Büro Deutschland an ihn herangetragen worden war, zumal er gerade diesem Land eine ganz besondere Bewunderung und Liebe entgegenbringt, hat doch die deutsche Kultur einen tiefen, heilsamen Einfluss auf seinen geistigen Werdegang ausgeübt.
Dem deutschen Leser möchte der Verfasser jedoch zwei Erwägungen voranstellen:
- Gewisse Themen, wie Agrarreform und die „lautstarken Pressekampagnen“ gegen die TFP (während der 30jährigen dynamischen Geschichte der brasilianischen TFP waren es insgesamt 12), haben direkt mit der brasiliani- schen Wirklichkeit zu tun, und ihre Erwähnung wird für den in brasilianischen Dingen weniger bewanderten Leser
wohl kaum in voller Tragweite verständlich sein; sie sind deshalb von dieser ihre spezifisch brasilianischen Warte aus zu sehen.
- Wenn von politischen Fehlern der Westmächte bei den Hilfeleistungen an Länder hinter dem jetzt niedergerissenen Eisernen Vorhang oder ähnlichen Fakten die Rede ist, so ist die Bundesrepublik in diese Betrachtungsweise grundsätz- lich nicht eingeschlossen. Denn seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges befand sich ja dieses Land in einer ganz beson- deren Lage. Da wäre vor allem die Pflicht hervorzuheben, dem östlichen Teil Deutschlands Hilfe und Beistand zu ge- währen, moralisch gesehen handelte es sich doch immer noch um ein und dasselbe Vaterland, sodaß also im Sinne der hier vorliegenden Studie die beiden Teile Deutschlands in einem politischen und wirtschaftlichen Kontext standen, der sich völlig von den allgemeinen Beziehungen zwischen dem Westen und den kommunistischen Ländern abhob.
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Dieses Manifest wurde bisher im vollen Wortlaut in folgenden Zeitungen oder Zeitschriften veröffent- licht:
Bolivien: El Mundo und El Deber, Santa Cruz, 4.3.90; El Diário, La Paz, 10.3.90; Los Tiempos, Cochabamba, 25.3.90; La Gazeta, Sucre, 1.4.90; El Cirio, Potosi, 1.4.90.
Brasilien: Folha de São Paulo, São Paulo, 14.2.90; A Cidade, Campos, 22.2.90; A Gazeta, Vitória, 23.2.90; Estado de Minas, Belo Horizonte, 8.3.90; Catolicismo, São Paulo, März/90; O Diário, Maringá, 11.3.90; Jornal do Povo, Par- naíba, 11.3.90; Zero Hora, Porto Alegre, 14.3.90; O Diário Popular, Pelotas, 14.3.90; Folha de Londrina, Londrina, 14.3.90; Diário do Noroeste, Paranavaí, 14.3.90; Diário do Nordeste, Fortaleza, 20.3.90; A Notícia, Joinville, 29.3.90; Nossa Folha, Arapongas, 14.4.90.
USA: The Wall Street Journal, New York, 27.2.90; Diário Las Américas, Miami, 1.4.90.
Chile: El Mercurio, Santiago, 2.3.90.
Italien: Corriere della Sera, Mailand, 7.3.90; Il Tempo, Rom, 8.3.90; Lepanto, Rom, Februar/90; Cristianità, Piacenza, März/90
Portugal: O Dia und Semanário, Lissabon, 10.3.90; O Zé, Rio Maior, 30.3.90
Venezuela: El Universal, Caracas, 13.3.90; El Nacional, Caracas, 21.3.90
Ecuador: El Comercio, Quito, 14.3.90; El Telégrafo, Guayaquil, 14.3.90; El Austral, Cuenca, 22.4.90
Spanien: Ya, Madrid, 17.3.90; El Pilar, Zaragoza, 18.3.90; Las Provincias, Valencia, 29.3.90; Covadonga Informa, Madrid, März/90; El Mundo Financiero, Madrid, April/90
Costa Rica: La Nación, San José, 25.3.90; El Eco Católico, San José, 1.4.90
Kolumbien: El Tiempo, Bogotá, 28.3.90; El Derecho, Pasto, 31.3.90; Diário del Huila, Neiva, 31.3.90; El Infor- mador, Santa Marta. 31.3.90
Uruguay: EI País, Montevideo, 1.4.90 Sudafrika: The Star, Johannesburg, 5.4.90 Peru: Expreso, Lima, 16.4.90.
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I. Unzufriedenheit macht sich Luft und lässt die sowjetische Welt auseinan- derfallen
Die von der Perestrojka in Sowjetrussland veranlass- ten Reformen und die vom Mittelpunkt wegstrebenden politischen Bewegungen, die kürzlich in Aserbaidschan und seinen armenischen Enklaven fast zum Bürgerkrieg geführt haben, erschüttern auch die baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland, sowie weiter südwestlich Polen und die DDR, und in südlicher Richtung die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und Jugoslawien. Nimmt man die spektakuläre Öffnung der Berliner Mauer und des Eisernen Vorhangs noch hinzu, so bilden diese Erschütterungen im Zusammenhang gesehen eine Bewegung wahrhaft zyklopischen Ausma- ßes, wie man es seit den beiden Weltkriegen und viel- leicht den Napoleonischen Kriegen nicht mehr gesehen hatte.
Diese derzeitige Bewegung der Europakarte ist je nach Gegend verschiedenen Umständen zuzuschreiben, und auch die Bedeutung ist jeweils eine andere. Über allem aber schwebt ein Zeichen, das alles weitere ein- schließt und durchdringt: die Unzufriedenheit.
Eine ungemein große Unzufriedenheit
Diese Unzufriedenheit muss ganz groß geschrieben werden, denn sie ist das Sammelbecken all der regiona- len und nationalen Unzufriedenheiten wirtschaftlicher und kultureller Natur, die sich über Jahrzehnte hinweg in der sowjetischen Welt unter dem Anschein einer tragisch-gleichgültigen Apathie angestaut haben, von Menschen, die zwar mit nichts einverstanden waren, sich aber physisch daran gehindert sahen, sich auszu- drücken, zu bewegen, zu erheben, alles in allem, wirk- samen Widerspruch zu leisten. Es handelte sich um eine totale Unzufriedenheit, die aber jeden einzelnen in sei- ner Wohnung, in seiner Hütte, in seinem Unterschlupf stumm und gelähmt hielt, vielfach ohne die Stütze der Familie, denn an die Stelle der Ehe war schon oft das Konkubinat getreten. Unzufriedenheit auch, weil man die Kinder immer wieder ihrem „Zuhause“ entzog, um sie zwangsweise dem Staat zu überantworten, dem al- lein die gesamte Erziehung zustand. Unzufriedenheit am Arbeitsplatz, wo ein guter Teil der Arbeitszeit mit Trägheit, Nichtstun und Langeweile zugebracht wurde, und die mäßigen Löhne gerade zum Kauf von nur ungenü- gend zur Verfügung stehenden Lebensmitteln und Arti- keln schlechter Qualität reichten, jenen typischen Pro- dukten einer vom Staatskapitalismus verstaatlichten Industrie. In den langen Schlangen vor den Läden, aus deren fast leeren Regalen einen die schamlose Armut anstarrte, sprach man flüsternd vom kompletten Mangel an Qualität und Quantität. Unzufriedenheit vor allem auch wegen des fast allerorts geltenden Verbots der Religionsausübung, der verschlossenen Kirchen, der nur beschränkt zugelassenen Glaubenslehre. In den Schulen wurde zwangsläufig der Materialismus, der Atheismus, mit einem Wort die kommunistische Unreligion verbrei- tet.
All diese Übel zusammengenommen verdrießen den Menschen natürlich noch mehr als jedes einzelne für sich. Wenn demnach schon gegen diesen oder jenen Aspekt der sowjetischen Wirklichkeit Klagen erhoben werden, so ist es nur zu verständlich, daß sich gegen diese Wirklichkeit als Ganzes jetzt ein wahrer Feu- ersturm der Wut Bahn bricht. Diese gegen das Ganze gerichtete Wut, trifft natürlich voll das Regierungssys- tem und entfacht alle Kräfte der Empörung im Men- schen zu einer alles umfassenden Unzufriedenheitswelle gegen das kommunistische Regime, den Staatskapita- lismus, den polizeilich verordneten, despotischen A- theismus, gegen alles schließlich, was die marxistische Ideologie hervorgebracht und in den jetzt sich erheben- den Ländern durchgeführt hat.
Es ist also durchaus angebracht, hier von Unzufrie- denheit zu sprechen. Wohl die umfassendste Unzufrie- denheit, die es in der Geschichte je gab.
– Ängstliche, halbherzige Zugeständnisse Mos- kaus
Um zu verhindern, daß diese Unzufriedenheit in Auf- stand und Bürgerkrieg umschlug, hat Moskau offen- sichtlich hier und da ein paar ängstliche, halbherzige Zugeständnisse gemacht.
In Wirklichkeit aber bleibt die Tragweite dieser Zuge- ständnisse äußerst fragwürdig. Sie sind zwar dazu ange- tan, die Gemüter einigermaßen zu beruhigen, doch we- cken sie auch bei den Unzufriedenen verstärkt das Be- wusstsein der eigenen Macht und der Schwäche des gestern noch allmächtig scheinenden Moskauer Geg- ners. Die Befriedung kann also von den Unzufriedenen durchaus dazu genutzt werden, immer größere Scharen von Anhängern um sich zu sammeln und sie für Bewe- gungen vorzubereiten, die vielleicht schon morgen mit noch nachdrücklicheren Forderungen auf den Plan tre- ten als gestern.
So kann es nach und nach zu einer Entwicklung kommen, wie sie kennzeichnend ist für den erfolgrei- chen Aufstieg aufrührerischer Bewegungen, während gleichzeitig das überholte, von innerer Fäulnis zerstörte Establishment der Regierungen zu Fall kommt.
– Ein Schrei der Entrüstung, wie ihn die Ge- schichte bisher noch nicht kannte
Sollten sich die Ereignisse im sowjetischen Machtbe- reich ohne ernsthaften Widerstand weiterentwickeln, braucht es keines durchdringenden politischen Verstan- des, um zu erkennen, was für ein Ende das nehmen wird: Und zwar der Sturz der Sowjetmacht in dem gan- zen, ungeheuren Reich, das noch bis vor kurzem vom Eisernen Vorhang fest umschlossen war. Und aus den Tiefen der sich anhäufenden Ruinen wird man den don- nernden Schrei der Entrüstung der unterdrückten und versklavten Völker vernehmen.
II. Interpellation an die direkt Verant- wortlichen für das ungeheure Elend: Die Sowjetführung in Russland und in den geknechteten Völkern
Dieser Schrei wird sich vor allem gegen die unmittel- bar Verantwortlichen für all den Schmerz, der jahrzehn- telang in den unermesslichen Weiten des Reiches einer ungeheuer großen Anzahl von Opfern zugefügt wurde.
Und falls die menschlichen Ereignisse ihre Logik nicht gänzlich eingebüßt haben sollten (ein tragischer Rückzug, den die Geschichte in Zeiten totalen Verfalls, wie zum Ende dieses Jahrhunderts und Jahrtausends, schon öfters zu verzeichnen hatte), werden die Opfer dieses ungeheuerlichen Elends einstimmig aufheulen und von der Welt einen Akt der Gerechtigkeit gegen- über den Verantwortlichen verlangen.
Die Verantwortlichen schlechthin aber waren. die o- bersten Führer der KPdSU, denen in der sowjetischen Machtstruktur immer die größten Befugnisse zukamen, und denen sich sogar die Regierung und dementspre- chend auch die KP-Chefs und die Regierungen der ge- knechteten Völker zu unterordnen hatten.
Sie sind die Verantwortlichen, denn ihnen ist und konnte das unsagbare Unglück und Elend nicht verbor- gen geblieben sein, in das die kommunistische Lehre und ihr System die Massen stürzten! Und dennoch ha- ben sie nie gezögert, diese Lehre auszubreiten und ande- ren ihr System aufzuzwingen.
III. Interpellation an die Einfältigen, die Nachgiebigen und die freiwilligen oder gezwungenen westlichen Kol- laborateure des Kommunismus
Wenn wir weiterhin mit der Logik der Ereignisse rechnen, so werden all die Menschen, Familien, Völker- schaften und Nationen nicht nur gegen die oben Ge- nannten Gerechtigkeit fordern.
– Optimistische, oberflächliche Historiker ha- ben die Reaktion der freien Völker gegen die Machenschaften des internationalen Kommunismus abgeschwächt
In einer zweiten Phase werden sie sich an die ver- schiedenen westlichen Historiker richten, die während der langen Periode sowjetischer Herrschaft auf optimis- tische und oberfläch1iche Weise die Ereignisse in der kommunistischen Welt geschildert haben; und man wird sie fragen, warum sie in ihren weltweit in gewissen Medien gefeierten zeitgeschichtlichen Werken so wenig über das immense Elend zu sagen hatten. Dies hat näm- lich dazu geführt, daß die notwendige Reaktion der freien Völker gegen die Unterwanderung und die Machenschaften des internationalen Kommunismus nurchenschaften des internationalen Kommunismus nur in abgeschwächter Form zur Wirkung kam.
– Die Staatsmänner des Westens haben sich kaum für die Befreiung der Opfer aus der sowjetischen Sklaverei eingesetzt
Schließlich werden sich dieselben Unzufriedenen an die Staatsmänner der reichen westlichen Länder richten und sie zur Rede stellen, warum sie so wenig unter- nommen haben, die zahllosen Opfer aus der endlosen Dunkelheit der Nacht Sowjetischer Knechtschaft zu befreien.
Wir wissen natürlich, daß dann die stets lächelnden, ausgeschlafenen, frisch gewaschenen und wohlgenähr- ten Staatsmänner leutselig antworten werden: „Wieso denn ausgerechnet wir!? Haben wir euren Regierungen nicht so viel Geld zukommen lassen, ihnen so viele Kredite eröffnet, haben wir nicht so viele defekte Waren aus euren miserablen Fabriken angenommen, und das alles, um euren Hunger ein wenig zu stillen? Ausge- rechnet an uns richtet ihr euren sinnlosen Tadel!“ Und sie werden hinzufügen: „Geht doch einmal zur UNO, zur UNESCO und zu den vielen anderen Institutionen, die so eifrig um die Menschenrechte bemüht sind, und schaut euch die vielen wohlklingenden, literarisch aus- gefeilten Proklamationen an, die wir überall im Westen zur Verbreitung brachten, und in denen wir uns gegen die Lage ausgesprochen haben, in der ihr euch befan- det… Ist euch das nicht genug?“
Wenn diese liebenswürdigen Machthaber des Westens meinen, so die unausweichlichen Einwände entkräften zu können, die an sie herangetragen werden, so täuschen sie sich.
– Die Subventionen des Westens haben die Tätigkeit der Schergen in die Länge gezogen
Denn die Wirklichkeit ist in ihrer konkret fassbaren Gestalt keineswegs so einfach und so leicht zu verstehen und zu beschreiben, wie sie scheinbar annehmen. Die unzufriedenen Massen werden ihnen wohl oder übel antworten: „Führt euch einmal Tausende, Millionen von Menschen vor Augen, die alle gleichzeitig in Räumen so groß wie ganze Länder gequält werden. So sah die Welt hinter dem Eisernen Vorhang aus! Fast immer kamen die Subventionen des Westens nicht den armen Folteropfern zugute sondern den Schergen, denen diese landesweiten Folterkammern unterstanden, denn nichts anderes waren doch die Regierungen, die da unter der grimmigen Führung Moskaus die ,souveränen‘ und
,alliierten‘ Nationen hinter dem Eisernen Vorhang, wie Polen, die DDR, die Tschechoslowakei, Ungarn und so viele andere unterjocht hielten; dazu muss man auch die mit Moskau ,vereinigten‘ Sozialistischen Sowjetrepubli- ken und Gebiete zählen, die deutlich und offiziell von den Despoten im Kreml abhängen. Diesen Schergen- Regierungen kamen meistens die Wohltaten des Wes- tens zugute.“
Doch spätestens bei diesem Punkt werden Zweifel auftauchen, die von den Unzufriedenen immer wieder in Umlauf gebracht werden dürften, und auf diese Zweifel wird nicht so leicht eine Antwort zu finden sein.
Natürlich lässt sich nicht leugnen, daß ein kleiner Teil dieser an die Marionettenregierungen hinter dem Eiser- nen Vorhang gegangenen Mittel doch noch die entspre- chenden Opfer erreicht und ihre unglückliche Lage etwas erleichtert haben. Vielleicht haben diese Hilfeleis- tungen sogar manchen vor dem Hungertod gerettet. Doch waren aus den Reihen der Unzufriedenen selbst noch vor den derzeitigen Umwälzungen peinliche Ein- wände hierüber laut geworden.
So hat der Westen nach dem Dafürhalten der leid- vollsten und entrüstetsten unter ihnen zwar den Scher- gen Mittel zur Verfügung gestellt, mit denen sie den Opfern über den schlimmsten Mangel hinweghelfen sollten, doch haben diese Mittel gleichzeitig auch dazu gedient, die allgemeine Empörung abzuschwächen und auf diese Weise die Herrschaft eben dieser Schergen noch weiter hinauszuziehen.
Wäre es dann in diesem Fall nicht besser für die un- terdrückten Völker gewesen, wenn der Westen keine Hilfe geschickt hätte, damit der Tag des Ausbruchs der Unzufriedenheit früher gekommen wäre und mit ihm die endliche und totale Befreiung der unglücklichen Unterdrückten?
– Selbstmörderische Helfer bei der Verbreitung des Kommunismus
Wir müssen zugeben, daß uns diese Frage bestürzt, vor allem wenn man nie davon gehört hat, daß die Be- willigung der genannten Mittel von den westlichen Spendern mit irgendeiner Auflage verbunden gewesen wären, die es ihnen erlaubt hätte, darüber zu wachen, daß diese Mittel nicht zum Kauf oder zur Herstellung von Waffen und Munition verwendet würden, um damit versklavte Völker noch länger unter dem Joch zu halten. Oder daß sie sogar im Falle eines Krieges gegen den Westen gegen die Gebernationen selbst eingesetzt wür- den.
Gehen wir der Sache bis auf den Grund! Wenn Mos- kau soviel Gold hatte, daß es in der Lage war, mit sei- nem Netz von Propagandisten und Verschwörern über- all auf der Welt zu wühlen, so ist doch gewiss anzu- nehmen, daß die pharaonischen Ausgaben dafür zu einem beträchtlichen Teil auch aus den Geldsummen gespeist wurden, die westliche Spender für irgendwel- chen Zweck überwiesen hatten.
Waren aber dann die Wohltäter der Opfer des Kommunismus in diesem Falle nicht „unfreiwillige“ Kom- plizen der Schergen? Und waren sie nicht auch gleich- zeitig selbstmörderische Mitarbeiter eines Angriffs gegen den Westen und noch dazu Partner bei der Verbreitung des kommunistischen Irrtums unter allen Völkern?
– Der Kreuzzug, der nicht stattfand
Noch wissen wir nicht, ob die versklavten Nationen eines Tages wirklich frei sein werden, bevor es zu den heilenden und strafenden Katastrophen kommen wird, die Unsere Liebe Frau bei den Erscheinungen in Fatima angekündigt hat (s. Antonio Augusto Borelli Machado, Die Erscheinungen und die Botschaft von Fatima nach den Aufzeichnungen von Schwester Lucia. São Paulo 1989. 26. Aufl.).
Was wir aber wissen ist: Wenn diese Nationen der- einst frei sein werden, wird die Unzufriedenheit von den
„Wohltätern“ der versklavten Nationen strenge Rechen- schaft fordern. Jene werden sich gezwungen sehen, um ihres Rufes willen ganze Archive durchzuwühlen und den Staub von vielen Kostenstellen zu wischen. Es sei denn, sie ziehen es vor, alles zu verriegeln und dafür zu sorgen, daß sich noch einmal das Schweigen über diese Fragen senkt.
In Wirklichkeit haben die schön klingenden Erklärun- gen von UNOs, UNESCOs und ähnlicher Organisatio- nen sie gleichgültig gelassen, so wie die Opfer gleich- gültig bleiben würden angesichts des artigen Lächelns, das von Leuten ausginge, die ihnen damit ihren Gruß und ihre Solidarität bekunden wollten, während sie mit verschränkten Armen ihrer Qual zuschauen.
„Wir hätten eines Kreuzzuges zu unserer Befreiung bedurft“, werden sie ausrufen, „und ihr habt uns nichts als ein bisschen Brot geschickt, das uns helfen sollte, auf unbestimmte Zeit unsere Knechtschaft auszuhalten. Wusstet ihr denn nicht, daß die große Lösung für den Gefangenen nicht nur im Brot liegt, sondern vor allem in der Freiheit?“
Vielleicht gibt es sogar gültige Argumente gegen die- se Klagen der Gefangenen. Doch geben wir zu, daß es nicht leicht sein wird, sie ausfindig zu machen.
– Ein Sieg der „Harten“ würde die Verbitterung und den Jammer nur noch vergrößern
Die gesamte westliche Presse hat immerhin festge- stellt, daß der Sieg dieser riesengroßen Unzufriedenheit noch nicht unbestreitbar ist. Denn niemand kann garan- tieren, daß die so erfolgreich und schlagfertig auf dem Platz des Himmlischen Friedens (!) in Peking und jüngst wieder mit scheinbaren Erfolg in Baku, der Hauptstadt von Aserbaidschan, durchgeführte Niederschlagung der Rebellion sich nicht noch andere Male in anderen Unzu- friedenheitsherden wiederholen kann. Nehmen wir schließlich an, diese Abfolge von Niederschlagungen vermöchte der Unzufriedenheit eine karikierte Frie- densmaske überzustülpen, eines Friedens der Leichen- starre allerdings.
Ein solcher Ausgang würde sicherlich weltweite Fol- gen zeitigen, die wir im Augenblick größtenteils gar nicht voraussehen können. Die Unzufriedenheit würde jedenfalls die Verbitterung und den Jammer nur noch vergrößern, vor allem in bezug auf den Westen. Denn aus der Tiefe ihres Kerkers würden die Unzufriedenen die lange Liste der Proteste gegen uns im Westen nur noch vergrößern.
Als Anklage gegen den Westen werden sie notge- drungen vorbringen: „Bis 1989-1990 hatten wir noch nicht die ganze Welt mit unseren Schreien erfüllt. 1989- 90 hatten wir endlich Gelegenheit, dies zu tun. Seither gibt es nicht einmal mehr den geringsten Schleier, der euch gegen uns abschirmen könnte. Ihr habt alles gese- hen und gehört, und dennoch habt ihr wenig mehr als das Unzulängliche von vorher getan.“
Es wird uns wiederum schwer fallen und peinlich sein, darauf Antwort zu finden.
IV. Interpellation an die KP-Führer in aller Welt
Doch sollten wir uns nicht mit dem Gedanken täu- schen, daß sich eine Abrechnung nur zwischen den Opfern, die da aus allen Rissen des immensen, aus den Fugen geratenen sowjetischen Kerkers ihre Stimme erheben, und ihren Schergen abspielen wird, oder zwi- schen eben diesen Opfern und ihren lächelnden, kargen Wohltätern, die hin und wieder im Laufe der langen Jahre der Knechtschaft, von der nur Gott weiß, wann sie ein Ende haben wird, im Westen etwas von sich hören ließen. Das alles hängt davon ab, was uns die für uns noch rätselvolle Zukunft bringen wird.
Es ist durchaus auch noch eine andere Auseinander- setzung vorauszusehen, nämlich die der Bevölkerung westlicher Länder mit den Leitern der verschiedenen kommunistischen Parteien, die unter dem Einfluss der vorgeblichen ideologischen und technischen Modernität des Kommunismus und natürlich auch manchmal dank der Überzeugungskraft des Goldes und der Wirksamkeit der kommunistischen Propagandataktiken in allen nicht kommunistischen Ländern der Erde bequem Fuß zu fassen vermochten.
– Haben sie nichts gesehen?
Jahrzehntelang haben die kommunistischen Führer der verschiedenen Länder ständig vielfältigen Kontakt mit Moskau unterhalten. Mehr als einmal Sind sie dort gewesen und wurden normalerweise als Komparsen und Freunde in Empfang genommen.
– Haben sie nichts berichtet?
Und jedes Mal, wenn sie in ihre Länder zurückkehr- ten, wurden sie von den Parteimitgliedern gierig nach allem ausgefragt, was sie in Moskau, diesem wahren Mekka des internationalen Kommunismus, gesehen und gehört hatten.
– Haben sie nach nichts gefragt?
Nach allem, was man so von diesen Moskaubesu- chern der Öffentlichkeit gegenüber hören konnte, wäre anzunehmen, daß sie bei diesen Reisen niemals auch nur den Versuch unternommen hatten, unmittelbar die Lage zur Kenntnis zu nehmen, in der die Russen und andere unterdrückte Völker lebten. Sie hatten nichts von den endlosen Schlangen gesehen, die sich in den frühen Morgenstunden vor den Türen der Metzgereien, Bäcke- reien und Apotheken bildeten, weil die Leute auf quali- tativ und quantitativ unzulängliche Ware warten muss- ten, um deren Erwerb sie wie Bettler anstanden. Sie hatten auch nicht die Lumpen um die Schultern der Armen bemerkt, das völlige Fehlen der Freiheit, das alle Bürger bedrückte. Das traurige Schweigen der Bevölke- rung, die Angst sogar, mit den Besuchern zu sprechen, weil sie die Brutalität polizeilicher Verdächtigungen zu fürchten hatte, das alles hatte sie nicht beeindruckt.
Haben diese Stützen des Kommunismus aus den ver- schiedenen Ländern der freien Welt die sowjetischen Machthaber nicht danach gefragt, warum es so viele Polizeistreifen gab, wenn doch das System beim Volke so beliebt war? Und wenn es dies nicht war, wie war dann diese Unbeliebtheit zu erklären bei einem Regime, das ungeheure Summen für Propaganda ausgab, um die Menschen im Westen davon zu überzeugen, daß die Russen schließlich die wahre soziale Gerechtigkeit im Paradies des Überflusses für alle gefunden hatten?
– Wenn sie um das tragische Scheitern des Kommunismus wussten, warum wollten sie ihn dann für ihre Länder?
Wenn die kommunistischen Führer der freien Welt aber wussten, was die ganze Welt heute als Frucht des Kommunismus erkennen kann, warum suchten sie dann dieses System des Elends, der Knechtschaft und der Schande auf ihre eigenen Länder auszudehnen? Warum waren ihnen weder Geld noch Anstrengungen zuviel, die Eliten aller Volksschichten für das harte Vorhaben der Einführung des Kommunismus zu gewinnen, ange- fangen mit der geistlichen Elite des Klerus, mit den gesellschaftlichen Eliten des Groß- und Kleinbürger- tums, den kulturellen Eliten von Universität und Me- dien, den Eliten des zivilen und militärischen Beamten- tums, dazu der Gewerkschaften und Berufsgruppen aller Art, schließlich der Jugend und sogar der Kindheit in den Grundschulen? Hat sie die Leidenschaft der Ideolo- gie so geblendet, daß sie nicht einmal gemerkt haben, daß die Lehre und das System, die sie ihrer jeweiligen Heimat predigten, auch da die Früchte des Elends und dasselbe Unglück hervorbringen mussten, das in den endlosen Weiten des sowjetischen Reiches, von den Ufern der Spree bis nach Wladiwostok herrschte?
– Als eine wichtige Stimme die Wahrheit sagte: Überraschung!
Somit kam es in der westlichen Welt zu einer so un- genauen Vorstellung von der unglücklichen Lage der unterdrückten Völker, daß 1984, als ein Mann von apos- tolischer Unerschrockenheit den Mut hatte, mit einigen festen Worten einen Überblick zu geben, die im Westen wie eine Bombe einschlugen und weltweit zu hören waren.
Wer war dieser Mann? Ein weltbekannter Theologe, eine hohe Kirchenpersönlichkeit: Der deutsche Kardinal Joseph Ratzinger, Präfekt der Vatikanischen Glaubens- kongregation.
Und was hat er gesagt? Hier seine Worte: „Millionen unserer Zeitgenossen sehnen sich legitimerweise da- nach, die grundlegenden Freiheiten wiederzuerlangen, deren sie durch totalitäre und atheistische Regierungs- formen beraubt wurden, die auf revolutionärem und gewalttätigem Weg die Macht an sich gerissen haben, und dies im Namen der Befreiung des Volkes. Man kann diese Schande unserer Zeit nicht übersehen: Ganze Nationen werden unter menschenunwürdigen Bedin- gungen in Knechtschaft gehalten, während gleichzeitig behauptet wird, man bringe ihnen die Freiheit“ (Instruk- tion der Kongregation für die Glaubenslehre über eini- ge Aspekte der „Theologie der Befreiung“ vom 6. Au- gust 1984, Nr. XI, 10). Eine Sklaverei, die natürlich mit der allgemeinen Misere zu tun hat (s. Vittorio Messori a colloquio con il cardinale Joseph Ratzinger: Rapporto sulla Fede. Edizioni Paoline 1985. S. 201).
Das alles hat er gesagt, und nur das, doch die westli- che Öffentlichkeit erzitterte. Jahre später sollte die ungeheure Krise im sowjetischen Machtbereich zeigen, daß der Purpurträger nicht nur recht hatte, sondern daß seine mutigen Worte lediglich eine Kurzfassung der schaurigen Wirklichkeit waren.
– Die große Interpellation, die noch bevorsteht
Derzeit ziehen die Ereignisse in der sowjetischen Welt die allgemeine Aufmerksamkeit derart auf sich, daß hier für Überlegungen, Analysen und tiefergehende Interpellationen kein Raum ist.
Doch der Tag dafür wird kommen. Und an diesem Tag wird die Öffentlichkeit von den KP-Chefs im Wes- ten ohne Umschweife wissen wollen, warum sie Kom- munisten geblieben sind, obwohl sie doch um das Elend wussten, in das der Kommunismus die von Moskau geknebelten Völker gestürzt hatte. Man wird eine Erklä- rung von ihnen verlangen, warum sie trotz ihrer Kennt- nis vom Elend in Russland und den anderen geknechte- ten Völkern bereit waren, einer politischen Partei vorzu- stehen, der es nur darum ging, die eigenen Länder der freien Welt, in denen sie geboren waren, ebenfalls in Not, Sklaverei und Schande zu stürzen. Was hat ihnen denn so sehr an diesem düsteren Ziel gelegen, daß sie nicht einmal zögerten, die Wahrheit vor den eigenen Anhängern zu verbergen, von denen dann doch wenigs- tens einige entsetzt aus den roten Reihen ausgebrochen wären.
Diese Haltung der kommunistischen Führer aus den verschiedenen Ländern der freien Welt, die sich mit Moskau verschworen hatten, jeweils das eigene Vater- land ins Elend zu stürzen, wird wohl für die Nachwelt eines der großen Rätsel der Geschichte bleiben.
Schon heute stachelt dieses Rätsel die Neugier jener an, denen es nicht an Scharfsinn fehlt, das Problem zu erkennen und sich fragend damit zu beschäftigen.
– Die hastige Übertünchung der KP-Fassaden garantiert noch nicht, dass die Kommunisten tatsächlich ihre Lehre ändern werden.
Das sieben Jahrzehnte alte Bild, das so viele KP- Chefs auf der ganzen Welt nicht sehen wollten, oder nicht sehen konnten, und das uns die dramatischen Er- eignisse, die jetzt die sowjetische Welt in Atem halten, völlig ungeschminkt vor Augen führen, versetzt die KPs verschiedener Länder offensichtlich in einen Zustand der Verunsicherung. Selbst die Bezeichnung „KP“, auf die sie doch einst so stolz waren, scheint ihnen heute, psychologisch gesehen, unangebracht und, vom takti- schen Standpunkt aus gesehen, sogar Ärgernis erregend.
Deshalb ziehen es heute verschiedene unter ihnen vor, sich sozialistisch zu nennen. Und zwar soll es sich dabei nicht nur um einen Etikettenwechsel handeln, sondern auch den Innhalt betreffen.
Solcherlei Änderungen veranlassen uns allerdings zum Nachdenken:
- Was die KPs in Zukunft zu tun gedenken, ist allein noch nicht genug, all das zu rechtfertigen, was sie bisher getan oder zu tun unterlassen haben. So erklärt die ein- fache Namensänderung noch lange nicht, warum sie bisher zu allem, was in sowjetischen Machtbereich geschah, Ja und Amen gesagt haben. Und wie steht es
mit dem Schweigen der KPs der freien Welt zu dem schrecklichen Elend, das in Russland und den unterjoch- ten Völkern herrschte? Wenn man die Sache so betrach- tet, behalten unsere weiter oben formulierten Fragen und Interpellationen durchaus ihre Aktualität.
- Die angeblichen Änderungen können nur unter der Bedingung ernst genommen werden, wenn die KPs unzweideutig erklären,
- was sich an ihren philosophischen, wirtschaftlich- sozialen und anderen Lehren tatsächlich geändert hat;
- warum sie diese Änderungen vorgenommen haben, und in welcher Beziehung diese Änderungen zur Perest- rojka stehen.
- Außerdem ist eine Erklärung der KPs vonnöten, aus der konkret hervorgeht,
- wie sie heute zur Freiheit der katholischen Kirche und dementsprechend auch der anderen Religionen stehen;
- was für eine Auffassung sie nun über die Freiheit der politischen Parteien und der unterschiedlichen phi- losophischen, politischen, kulturellen u.ä. Strömungen haben, die dem Menschen im biblischen Dekalog zuge- sichert sind;
- ob und inwiefern sie ihre Doktrin und Gesetzesvor- lagen in bezug auf Familie, Privateigentum und freies Unternehmertum geändert haben;
- und ob sie schließlich diesem neuen Trend eine gewisse Stabilität zuschreiben, oder ob es sich lediglich um eine Phase eines Entwicklungsprozesses handelt, dem bald schon andere Einstellungen folgen werden;
- falls ja, was wären das für Einstellungen?
Ohne diese klärenden Stellungnahmen garantiert die hastige Übertünchung der KP-Fassade mit den sozialis- tischen Farben keinesfalls, daß die Kommunisten tat- sächlich auch ihre Lehre geändert haben.
V. Warum der erbarmungslose Kampf gegen die Antikommunisten, die ge- gen das Vordringen des Elends aus der Sowjetunion Schranken errich- ten wollten?
Doch gab es noch schlimmeres. Warum haben die ü- ber die ganze Welt verbreiteten Kommunistenführer neben dem trügerischen Mantel des Schweigens, den sie über das „Sowjet-Paradies“ gebreitet hielten, unermüd- lich und systematisch sieben Jahrzehnte lang diejenigen verleumdet, die sich – als einzelne, in Gruppen oder als ganze Strömung – entschieden dafür eingesetzt haben, ihrem Vaterland das sowjetische Elend zu ersparen, indem sie der Öffentlichkeit die Augen zu öffnen ver- suchten?
– Inländische Netze im Dienste Moskaus
Bei ihren Verleumdungskampagnen von wahrhaft sintflutartiger Gewalt und Ausdauer waren die Kommu- nisten so geschickt, in Gesellschaftskreisen, die als insuspekt galten, ganze Netze von Helfershelfern aufzu- bauen und so über eine beträchtliche Anzahl von nützli-
chen Handlangem zu verfügen, die es gut verstanden, nach der Taktik „lieber nachgeben als alles verlieren“ vorzugehen. Und alles wurde in jedem Land in Überein- stimmung mit den besonderen lokalen Umständen ent- worfen und durchgeführt.
– Arglose Handlanger aus dem Klerus, dem Bürgertum und den politischen Parteien griffen zwar nie den Kommunismus an, lieferten aber stets einen Schwall von Verleumdungen gegen antikommunistische Organisationen
Die arglosen Handlanger wurden in dem Sinne dres- siert, daß sie den Kommunismus nicht mehr als etwas schädliches und für das jeweilige Land Gefährliches hinstellen sollten. Am besten eigneten sich für diese Rolle Vertreter aus dem Klerus mit konservativem Image, biedere Bürger, in ideologiefreien Machenschaf- ten bewanderte Politiker u.a.m. Keiner von diesen nahm auch nur das Wenige zur Kenntnis, das man in den Medien über die Auswüchse innerhalb des kommunisti- schen Systems erfahren konnte. Ebenso blieb ihnen die fortschreitende rote Offensive im eigenen Land verbor- gen. Sie befürchteten weder einen Putsch der Kommu- nisten noch viel weniger deren Sieg. Ruhig vor sich hinlebend, verbreiteten sie eine Stimmung der Sorglo- sigkeit um sich.
Somit schufen sie um den Antikommunismus herum ein Klima der Ablehnung und der Verachtung, während andererseits im selben Maße eine Atmosphäre von Sympathie und Vertrauen zugunsten des Kommunismus aus ihrer selten ernst zu nehmenden Arglosigkeit ent- stand.
Der Kommunismus ist auch nie davor zurückge- schreckt, die Mitarbeit der Toren zu suchen, von denen die Schrift sagt, daß „infinitus est numerus“ (Koh 1,15) unter den Menschen im allgemeinen und „quorum par- vus est numerus“ in den Reihen der Roten.
Hier muss festgehalten werden, daß diese arglosen Handlanger normalerweise nie die Initiative ergriffen haben, um gegen antikommunistische Persönlichkeiten oder Gruppen loszulegen, vielmehr zogen sie es vor, diese systematisch zu ignorieren.
Wenn aber in einer Gesprächsrunde irgendein missli- cher Fall über antikommunistische Persönlichkeiten oder Gruppen zur Sprache kam, war es immer der arglo- se Handlanger, der als erster bereit war, daran zu glau- ben und sich darüber zu entrüsten. Gewöhnlich hatte er dann auch gleich eine mehr oder weniger wahrscheinli- che Einzelheit zur Hand, um das Gesagte zu „bestäti- gen“.
Wenn aber in derselben Gesprächsrunde etwas Nachteiliges über eine kommunistische Persönlichkeit oder Gruppe aufs Tapet kam, zeigte sich der arglose Handlanger, gestützt auf die systematischen Zweifel einer wohlwollenden Prüfmethode, sofort bereit, mil- dernde Umstände zugunsten des Angeklagten anzufüh- ren und traurig auf die Gefahr hinzuweisen, daß unan- gebrachte polizeiliche Nachforschungen die familiäre Ruhe der aufs Korn genommenen Leute stören könnten usw. usw. Das könnte natürlich alles auch einer guten Dosis Ausgeglichenheit und gesunden Menschenvers-
tandes zugeschrieben werden. Doch steckt dahinter vor allem eine tückische, bestens verstellte Voreingenom- menheit zugunsten des Kommunismus. Das wird deut- lich, wenn man zur Kenntnis nimmt, daß der arglose Handlanger dieses süße Getue eben nur linksorientierten Leuten und Gruppen gegenüber an den Tag legte, nie- mals aber Vertretern der Rechten gegenüber.
In seinem ganzen Verhalten redet somit der geschick- te Handlanger niemals dem Kommunismus selbst das Wort. Er braucht das auch gar nicht. Denn wenn er den Kommunismus loben würde, käme Misstrauen auf, mit der Arglosigkeit aber wäre es vorbei, und damit hätte er auch als Handlanger ausgedient.
– Aufgabe anderer argloser Handlanger
Anderen arglosen Handlangem stand eine besondere taktische Aufgabe zu.
Auch sie durften sich niemals direkt zugunsten des Kommunismus äußern. Im wesentlichen bestand ihre Aufgabe darin, die Linksorientierung all jener anzuhei- zen, die noch keine Kommunisten waren, damit sie wenigstens teilweise mit der jeweiligen KP zusammen- arbeiteten. So sollte der arglose Handlanger etwa in einer Gesprächsrunde von nur träge der Landreform widerstehenden Großgrundbesitzer den Ertragsmangel gewisser Landgüter bedauern, um dann die Gleichge- sinnten gegen den Großgrundbesitz in Bewegung zu setzen. Damit käme es zu einer agrarreformistischen Aktion, die wenigstens zum Teil den Gesamtplan zur Landreform ausführen und damit das vom Kommunis- mus angestrebte Ziel erreichen würde.
So würden die Kommunisten und arglosen Handlan- ger in einer Einheitsfront für eine gemäßigte Agrarre- form agieren.
Das wäre aber nur der Anfang.
Derselbe arglose Handlanger würde dann in dieser
„gemäßigten“ Gruppe einige für die Teilenteignung gewinnen, und zwar nicht mehr nur von Großgrundbe- sitzen sondern auch von mittelgroßen Gütern. Nach diesem weiteren Ergebnis würden sich natürlich alle Linksstehenden zusammenschließen und auf das nächs- te Ziel, die Beschlagnahme aller Landgüter schlechthin, ob groß oder klein, hinzuarbeiten.
Damit wäre das Ziel der kommunistischen Agrar- struktur erreicht.
– Andere Mitarbeiter des Kommunismus
Und so könnte man weiter von all denen sprechen, die nach der Taktik vorgehen: „Lieber nachgeben als alles verlieren“. Das würde aber über den Rahmen dieses Artikels hinausgehen.
Für eine Übersicht über den Vormarsch des Kommu- nismus in einem Land, sollte man das hier Gesagte wenigstens im Auge behalten.
Ohne Zweifel ist das Hauptunglück einer solchen Si- tuation im unglücklichen kommunistischen Schicksal des betroffenen Landes selbst zu suchen.
– Der Versuch einer Zerstörung durch Ver- leumdung: Die Erfolglosigkeit lärmender Öf- fentlichkeitsarbeit gegen die brasilianische TFP
Schaden richtet aber auch die ausgesuchte Ungerech- tigkeit an, mit der man im Dienste des feindlichen Vor- dringens jene mit geflüsterten Verleumdungen aus ano- nymer Quelle zu besudeln und in die schmutzigen Ge- wässer der Diffamierung zu ziehen sucht, deren einzi- ges, „unsühnbares“ Vergehen darin bestand und besteht, ihr Land gegen diejenigen zu verteidigen, die ihm das schreckensreiche Schicksal auferlegen wollen, unter dem eine wachsende Anzahl von versklavten Nationen und Völkern schmachtet, heult und aufbegehrt.
Nicht immer bleiben aber diese vom Kommunismus begünstigten und unterstützten, wenn nicht gar direkt oder indirekt von ihm angezettelten Angriffe auf geflüs- terte Verleumdungen beschränkt, sondern haben in den vergangenen 30 Jahren die Ausmaße aufsehenerregen- der, lärmreicher Diffamierungskampagnen gegen die brasilianische TFP angenommen. Es waren insgesamt zwölf, und jede erhob sich wie ein zerstörerischer Or- kan, dem die TFP nicht widerstehen zu können schien.
Unmittelbar findet dieser Sturm Unterstützung bei all den Gruppen argloser Helfershelfer im ganzen Land, zu denen auch die verschiedenen, unermüdlichen Ver- leumdergruppen gehören, die vor allem gern im Famili- enkreis, in Sakristeien, Vereinen und Berufsgruppen ihre Tätigkeit ausüben.
Während alles flüstert, kocht und schreit, bereitet die TFP in aller Ruhe ihre Erwiderung vor. Und wenn diese dann schließlich erscheint, immer gelassen und höflich, aber von unerbittlicher Logik getragen, bringen die Argumente unserer Vereinigung den Gegner bald zum Schweigen. Selten nur rafft er sich zur Widerrede auf; langsam zieht er sich in seine Höhle zurück. Nach und nach „vergessen“ alle wieder den Fall. Der Feind zieht sich zurück, ohne daß die TFP in den meisten Fällen auch nur ein Mitglied, einen Mitarbeiter oder Korres- pondenten, einen einzigen Wohltäter, Freund oder Sym- pathisanten verloren hätte.
Wenn auch diese „Paukenschläge“ möglichst weltweit Echo hervorzurufen suchten, so vermochten sie doch nicht das Weiterwachsen der großen TFP-Familie mit ihren selbständigen Schwestervereinigungen und be- freundete Organisationen zu verhindern. Heute ist sie der größte Zusammenschluss entschieden antikommu- nistischer, im traditionellen Lehramt der Kirche veran- kerter Organisationen, so daß es gegenwärtig schon TFPs in allen Kontinenten gibt.
* * *
Inzwischen zogen die Tage Gorbatschows herauf, de- ren Ergebnis wir gerade miterleben. Und nun kommt die Wahrheit über die Sowjetunion und die vielen unter- drückten Völker vor aller Augen ans Licht.
Die TFPs haben das Recht, diese Überlegungen der Öffentlichkeit vorzulegen und vor allem ihre unmittel- baren Opponenten, die westlichen Kommunistenführer, zur Rechenschaft zu ziehen.
VI. Der große Schmerz: Kampf gegen Glaubensbrüdern
Wenn sich diese Überlegungen in Anbetracht der komplexen Thematik, um die es hier geht, etwas in die Länge ziehen, darf doch ein wichtiger Punkt nicht un- erwähnt bleiben.
Gemeint ist die langandauernde und unter so vielen Gesichtspunkten schmerzhafte Meinungsverschieden- heit zwischen uns und einer großen Anzahl von Glau- bensbrüdern.
– Von Pius IX. bis Johannes Paul II.
Schon zur Zeit des leidenvollen, aber auch glorreichen Pontifikats Pius‘ IX. (1846-1878) kann man in den päpstlichen Schreiben erkennen, daß ein radikaler, un- überwindbarer Gegensatz zwischen der traditionellen kirchlichen Lehre einerseits und den gefühlsbetonten Phantasiegebilden des utopischen Kommunismus, sowie dem gehässigen, dünkelhaften wissenschaftlichen oder marxistischen Kommunismus andererseits bestanden.
Diese Unvereinbarkeit der Standpunkte trat während der späteren Pontifikate nur noch deutlicher hervor, wie es zum Beispiel in der lapidaren Aussage Pius‘ XI. in der Enzyklika Quadragesimo Anno von 1931 zum Aus- druck kommt: „So liegt ihm (dem Sozialismus) doch eine Gesellschaftsauffassung zugrunde, die ihm eigen- tümlich ist, mit der echten christlichen Auffassung aber im Widerspruch steht. Religiöser Sozialismus, christli- cher Sozialismus sind Widersprüche in sich; es ist un- möglich, gleichzeitig guter Katholik und wirklicher Sozialist zu sein“ (Acta Apostolicae Sedis, Bd. XXIII, S. 216). Noch deutlicher ist das berühmte Dekret des Hei- ligen Offiziums von 1949, das von Pius XII. erlassen wurde und allen Katholiken die Zusammenarbeit mit dem Kommunismus nach den im Dekret aufgezeigten Richtlinien verbietet. Gewisse Formen der Zusammen- arbeit werden sogar mit der Strafe der Exkommunikati- on bedroht.
Damit wollten die Päpste einerseits verhindern, daß Katholiken in die Reihen des Kommunismus überwech- selten. Doch ebenso sollte auch das Eindringen von Kommunisten unter dem Vorwand beidseitiger Zusam- menarbeit zur Lösung gewisser sozialökonomischer Probleme in den katholischen Bereich unterbunden werden.
Das war ein besonders wichtiger Punkt, denn indem sie den Katholiken die Hand zu einer angeblichen Zu- sammenarbeit anboten („Politik der ausgestreckten Hand“), gelang es erklärten Kommunisten und vor allem ihren arglosen Handlangern, immer wieder mit den Katholiken in engen Kontakt zu treten und in dieser ihrem Vorhaben günstigen Atmosphäre eine beachtliche Anzahl von Anhängern der Kirche für marxistisches Denken und Handeln zu gewinnen.
– Die Ära der vatikanischen Ostpolitik
In der ungeheuren Propagandamaschinerie des inter- nationalen Kommunismus begann nun, angefangen vom Kreml bis zur entferntesten kommunistischen Dorfzelle, weltweit eine Reihe von Anzeichen der Entspannung sowohl gegenüber den freien Nationen des Westens als auch den verschiedenen Kirchen, besonders der katholi- schen Kirche gegenüber ausmachen.
So kam es auch zu einer Änderung in der Haltung der Kirchen gegenüber der Welt hinter dem Eisernen Vor- hang. Die neue Haltung war bereits deutlich während des Pontifikats des Papstes Johannes XXIII. (1958- 1963), des direkten Nachfolgers Pius‘ XII., wahrzuneh- men. Und diese entspannungsfreundliche Haltung setzte sich bis in unsere Tage fort und fand schließlich im Besuch Gorbatschows bei Johannes Paul II. ihren Hö- hepunkt.
Als Willy Brandt 1969 mit seiner Ostpolitik begann, wurde dieser Begriff schnell zu einem wahren Schlag- wort in den Medien. Schließlich fand er auch Anwen- dung zur Bezeichnung der vom Vatikan geübten Ent- spannungspolitik, die in Wirklichkeit, zeitlich gesehen, noch vor den Entspannungsbestrebungen Bonns einge- setzt hatte.
Die diplomatischen Richtlinien des Vatikans in bezug auf die kommunistische Welt haben natürlich von Pius XII. bis Johannes Paul II. tiefgehende Änderungen durchgemacht. Es geht da sicherlich auch um Aspekte, die in de Entscheidungsbereich des höchsten Lehramtes der Kirche fallen. Im Grunde aber handelt es sich um diplomatische Schritte, die als solche von den Gläubi- gen durchaus missbilligt werden dürfen.
Deshalb sehen wir uns durchaus im Recht zu behaup- ten, dass die Vatikanische Ostpolitik dem Kommunis- mus nicht nur große, sondern, wörtlich genommen, unermessliche Vorteile gebracht hat. Was beim II. Vati- kanischen Konzil (1962-1965) geschah, ist beispielhaft dafür.
Im Klima der beginnenden Ostpolitik des Vatikans richtete man damals eine Einladung an Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche, als offizielle Beobachter an den Sitzungen des Konzils teilzunehmen. Was für Vor- teile hatte die Kirche davon? Soweit man bis heute erkennen kann, waren sie äußerst mager und kärglich. Nachteile? Nur einer sei erwähnt.
Unter dem Vorsitz Johannes‘ XXIII. und später Pauls VI. versammelte sich in Rom das größte Konzil der Kirchengeschichte. Die für die Kirche bedeutendsten Themen der Gegenwart sollten da zur Sprache kommen. Es konnte also auf gar keinen Fall die Haltung der Kir- che gegenüber ihrem seinerzeit größten Feind ausge- spart bleiben, handelte es sich doch um einen offen im Gegensatz zu ihrer Lehre stehenden Gegner, den mäch- tigsten, brutalsten und hinterlistigsten, dem sie in ihrer fast tausendjährigen Geschichte je begegnet war. Die religiösen Gegenwartsprobleme zu behandeln, ohne auch den Kommunismus einzuschließen, wäre so un- vorstellbar wie ein Ärztekongress über die wichtigsten Zeitkrankheiten, ohne daß die Immunschwäche AIDS die geringste Erwähnung im Programm fände…
Das aber hat sich die vatikanische Ostpolitik vom Kreml aufoktroyieren lassen, denn dieser drohte mit dem definitiven Abzug der Beobachter der schismati- schen russisch-orthodoxen Kirchen aus der Versamm- lung, falls das Problem des Kommunismus zur Debatte käme. Die Aussicht auf einen so aufsehenerregenden
Bruch ließ viele empfindsame Seelen vor Mitleid erzit- tern, denn es war ja zu befürchten, daß damit auch die barbarischen Verfolgungen gegen die Kirche hinter dem Eisernen Vorhang wieder aufgenommen würden. Ange- sichts dieser Möglichkeit des Bruches hat also das Kon- zil nicht gegenüber der kommunistischen AIDS Stellung genommen!
Die ausgestreckte Hand trug einen feinen Handschuh, den samtenen Handschuh der Herzlichkeit. In dem Handschuh aber steckte eine eiserne Hand. Führende Kirchenleute bekamen das wohl zu spüren. Dennoch wurde die Ostpolitik beibehalten, und damit auch die Zahl der Katholiken immer größer, die innerlich dem Kommunismus gegenüber zu einer Haltung übergingen, die einem wahren „Einsturz der ideologischen Barrie- ren“ gleichkam. Auf dem Gebiet praktischen Handelns kam es zu einer immer breiteren Zusammenarbeit mit der Linken beim Angriff auf den privaten Kapitalismus, in dem man das Gegenteil der „vorrangigen Option für die Armen“ entdeckt zu haben glaubte, während der Staatskapitalismus eine Reihe von Affinitäten (oder sogar mehr als das) zu dieser vom derzeitigen Papst so oft gepredigten Option an den Tag legte. Was für ein grausames Dementi hat ihnen nun der Staatskapitalis- mus auferlegt!
– Die TFP unter Sturm und Hagel
Diese Abfolge von wahrhaft dramatischen Ereignis- sen musste natürlich die Mitglieder der brasilianischen TFP aufs tiefste überraschen (wäre nicht das Vertrauen auf die Heilige Jungfrau, würde man wohl besser sagen:
„schrecklich beängstigen“). Deshalb erhob die kleine Gruppe von Katholiken, aus der später unsere Gesell- schaft hervorgehen sollte, schon im verschmutzten Halbdunkel des „Morgengrauens“, das die heraufzie- hende Krise ankündigte, ihre warnende Stimme (s. Pli- nio Corrêa de Oliveira, „Zur Verteidigung der Katholi- schen Aktion“, 1943, mit einem Vorwort des damaligen Apostolischen Nuntius in Brasilien, Kardinal Bento Aloisi Masella. – Das Werk wurde ausdrücklich in ei- nem im Namen Pius‘ XII. von dem stellvertretenden Staatssekretär Mons. J .B. Montini, dem späteren Paul VI., verfassten Brief gelobt). Daraufhin hagelte es von allen Seiten Gegenangriffe, die dazu führten, daß eine große Zahl katholischer Kreise, aus deren Saatbeet wäh- rend der politischen Unruhen 1963/64 manche Kommu- nisten hervorgehen sollten, sich gegen unsere Bewe- gung abriegelten. So zeigten die Linkskatholiken, trotz ihrer ökumenischen Haltung gegenüber allem und allen, uns gegenüber von Anfang an eine inquisitorische Hal- tung.
Daraus erwuchs uns der schmerzlichste Teil unseres Kampfes, den wir früher gegen den gefräßigen Wolf geführt hatten und den wir nun gerade aus Treue zur Kirche gegen Schafe aus der gleichen Herde führen mussten. Und – wie schmerzlich ist es, dies sagen zu müssen! – sogar gegen die Hirten einzelner Herden unseres Herrn Jesus Christus.
Die Geschichte dieses langen, tränenreichen Kampfes, der uns Schweiß und Blut der Enttäuschungen gekostet hat, wurde von der TFP in zwei Büchern festgehalten, von denen das letztere gerade erst erschienen ist (Einhalbes Jahrhundert glorreichen Kampfes gegen den Kommunismus, 1980 und Ein Mann, ein Werk, eine Tat, 1989).
Erwähnt sei hier einfach nur, daß 1974 mit der Unter- stützung der tapferen TFP-Gesellschaften von damals (in Argentinien, Bolivien, Kanada, Chile, Kolumbien, Ecuador, Spanien, USA, Uruguay und Venezuela) eine Denkschrift mit dem Titel Die Entspannungspolitik des Vatikans gegenüber den kommunistischen Regierungen- Heißt das für die TFP Unterlassung oder Widerstand? an Papst Paul VI. gerichtet wurde. Darin erklärten sich alle angeschlossenen und selbständigen Vereinigungen mit uns im Zustand respektvollen Widerstandes gegen die vatikanische Ostpolitik. Der Geist dieses Vorgehens, der auch heute noch die TFPs und ihre Büros in insge- samt 22 Ländern beseelt, kann mit der folgenden Apost- rophe aus der genannten Erklärung wiedergegeben wer- den: „In kindlichem Vertrauen richten wir uns an den Hirten der Hirten: Unsere Seele gehört Euch, unser Leben gehört Euch. Befehlt uns nach Eurem Gutdün- ken, was Ihr wollt. Nur verlangt nicht, dass wir die Arme vor dem Ansturm des roten Wolfes verschränken sollen. Dagegen erhebt sich unser Gewissen!“
– Interpellation? Nein. Brüderlicher Appell
An Euch, geliebte Brüder im Glauben, deren Wach- samkeit durch den kommunistischen Trug abgelenkt wurde oder abgelenkt werden sollte, richten wir keine Interpellation. Aus dem Gleichmut unseres Herzens richten wir in Christo Domino einen Appell voll glü- hender Zuneigung an Euch: Angesichts des schreckli- chen Bildes, das sich in diesen Tagen vor Euren Augen abzuzeichnen beginnt, erkennt wenigstens heute, daß Ihr verführt worden seid. Was Ihr zum Sieg bringen wolltet, verbrennt! Kämpft an der Seite derer, die Ihr heute noch rücksichtslos „verheizen“ wollt.
Aufrichtig, entschieden, ohne Hintergedanken, viel- mehr mit der größten Respekt verdienenden Offenheit, die der demütigen Reue eigen ist, kehrt denen den Rü- cken, die Euch so grausam getäuscht haben! Und dann wendet Euren ruhig gewordenen Blick von Glaubens- brüdern auf uns!
Diesen Appell richten wir heute an Euch. Er drückt unsere unveränderte Gesinnung aus, die von gestern wie die von morgen.
Bei den abschließenden Worten dieses Schriftstücks klingt Ergriffenheit in unserer ehrfürchtig erstickenden Stimme, denn wir erheben kindlich ergeben unsere Augen zu Euch, ehrwürdige Hirten, deren Meinung von der unseren abwich. Woher sollen wir die Worte der Zuneigung und Ehrfurcht nehmen, die hier angebracht wären, um sie in einem solchen Augenblick in Eure Hände, in Eure Herzen zu legen?
Wir können keine besseren ausfindig machen als die, die wir, mutatis mutandis, 1974 an den damaligen Papst Paul VI. gerichtet haben.
Kniend sprechen wir sie aus und bitten um Euren Se- gen und Eure Gebete.
* * *
Die verschiedenen Interpellationen unter Punkt II bis V und den Appell an die Linkskatholiken (Punkt VI) bringt die TFP nach eigenem Ermessen und unter eige- nem Risiko in diesem, mit der einstimmigen Genehmi- gung aller Mitglieder ihres Nationalrates veröffentlich- ten Schriftstück vor.
Allen Interpellierten und denen, an die der Appell ge- richtet ist, steht natürlich das Recht auf Antwort zu.
Und da sie uns näher stehen, ist diese Antwort für die kommunistischen Führer des Westens und für die Führer der katholischen Linken nicht nur ein Recht sondern eine Pflicht.
An sie richtet sich denn auch unsere Schlussfrage: Werdet Ihr Euch dazu äußern oder schweigen? Ihr habt das Wort!
São Paulo, den 11. Februar 1990 Am Festtag der Mutter Gottes von Lourdes
Plinio Corrêa de Oliveira
Vorsitzender des Nationalrates der TFP
Plinio Corrêa de Oliveira (1908-1995), war Professor an der Päpstlichen Katholischen Universität São Paulo in Brasi- lien, Gründer der Brasilianischen Gesellschaft zur Verteidigung von Tradition, Familie und Privateigentum (TFP) und dessen Vorsitzender im Nationalrat. Er ist der Autor der weltbekannten Botschaft der TFPs: „Der selbstverwaltete So- zialismus: gegenüber dem Kommunismus, eine Barriere? Oder ein Brückenkopf?“ Die Botschaft wurde 1981 und 1982 in 49 Zeitungen in den Vereinigten Staaten und anderen Ländern Nord- und Südamerikas veröffentlicht, sowie in Euro- pa, Australien, Asien und Afrika.