Ich bin NICHT Charlie? Was bin ich dann?
Der schreckliche Anschlag, der am 7. Januar von muslimischen Extremisten gegen die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ ausgeübt wurde, hat im Verbund mit weiteren Terroranschlägen eine ungeheure Erregung ausgelöst und ist zu Recht auf weltweite Ablehnung gestoßen. Man sprach sogar von einem „französischen 11. September“.
Unmittelbar nach dem Geschehen hat der Journalist Joachim Rancin mit typisch französischer Behendigkeit und Kürze die allgemeine Ablehnung in drei Wörtern zusammengefasst: „Je suis Charlie“ (Ich bin Charlie). Und die Franzosen wurden aufgerufen, sich mit diesem Satz zu identifizieren und ihn während der landesweit für die am 10. und 11. Januar stattgefundenen Demonstrationen zur Schau zu stellen, um auf diese Weise ihre Ablehnung des Verbrechens und ihre Solidarität mit den Opfern zum Ausdruck zu bringen.
Dennoch sind bei dem Satz gewisse Einschränkungen geltend zu machen, da er nur auf einen einzelnen Aspekt der Vorfälle Bezug nimmt und zudem zu einem Missverständnis führt, das eine ideologische Falle verbirgt.
Tatsächlich ging es bei dieser Tragödie keineswegs nur um den Anschlag gegen „Charlie Hebdo“. Vielmehr kam es zu einer Abfolge von drei aufeinanderfolgenden Terroranschlägen, bei denen neben den zehn Mitgliedern des Redaktionsstabs der Zeitschrift auch drei Polizisten und vier Zivilisten, Kunden eines jüdischen Lebensmittelgeschäftes, ums Leben kamen. Der Satz Ich bin Charlie schließt demnach die übrigen Opfer aus oder „diskriminiert“ sie, wie man heute zu sagen pflegt. Außerdem enthält er ein Missverständnis, weil er nahelegt, dass die Ablehnung der verurteilungswürdigen Anschläge und das Mitleid mit den 17 Opfern notwendigerweise zu einer Identifikation mit „Charlie Hebdo“ und damit auch mit der redaktionellen Orientierung der Zeitschrift führen muss. Für einen Katholiken ist dies jedoch unannehmbar.
Warum? Weil sich „Charlie Hebdo“ in einem seiner Grundzüge dem muslimischen Extremismus verwandt zeigt. Dies kann leicht erklärt werden. Die Dschihadisten gehen mit grausamster Roheit vor und schrecken auch nicht vor Morden zurück, wenn es darum geht, den Menschen einen ihrem religiösen Fanatismus entsprechenden Zustand aufzuzwingen. Auch „Charlie Hebdo“ geht mit einer Art von Roheit vor, die zwar unblutig ist, aber dennoch ebenfalls barbarische und fanatische Züge trägt. Dieses Vorgehen besteht darin, dass die Zeitschrift alle Regeln zivilisierten Zusammenlebens mit Füßen tritt und sich darin gefällt, andere ohne Hemmungen grundlos zu beleidigen, anzugreifen und zu schmähen.
Unter dem Vorwand, eine satirische Zeitschrift zu sein, berufen sich ihre Redakteure auf die „Meinungsfreiheit“, während sie sich der Ausübung intellektueller Roheit atheistischer Prägung hingeben. Es ist dies ein Aspekt der revolutionären Neobarbarei und eine Art und Weise, das durchzusetzen, was Papst Benedikt XI. die „Diktatur des Relativismus“ genannt hat. Wir können hier unmöglich die Karikaturen wiedergeben, mit denen „Charlie Hebdo“ mit groben Gotteslästerungen, die von der Hölle ausgespien scheinen, die katholische Kirche, ihren Glauben und ihre Amtsinhaber verhöhnt. Doch jeder Leser, der sie gesehen haben mag, kann das Gesagte bestätigen.
Es gilt hier übrigens auch, daran zu erinnern, dass es sich bei der absichtlichen Sünde der Gotteslästerung stets um eine schwere Sünde handelt, weil sie sich unmittelbar gegen Gott, die Heiligen und heilige Dinge richtet, und außerdem wegen ihrer wesenhaften Bosheit, die in dem Gotteshass liegt, der in ihr zum Ausdruck kommt.
Ein zivilisierter Umgang beruhte nicht allein in der westlichen Welt, sondern in jeder Zivilisation, die diesen Namen verdient (hier sei etwa auf die herrlichen Beispiele aus Japan, Persien, China usw. hingewiesen), auf einem klaren Verständnis der menschlichen Würde und des Respekts, den wir unseren Mitmenschen schulden. Gemeint ist damit ein nuancierter Respekt, der allen gegenüber im Maße der Würde eines jeden Einzelnen geschuldet ist.
In der christlichen Zivilisation hat dieser Sinn für Würde und Respekt einen Höhepunkt erreicht und zu vorzüglichen Formen der Höflichkeit geführt, die vor allem auf zwei Tugenden beruhen: Auf der Gerechtigkeit, die einem jeden das zukommen lässt, was ihm gebührt, sowie auf der Nächstenliebe, die verlangt, dass man dem mehr gibt, der bedürftiger ist. Die Ausübung dieser Tugenden hat zu hervorragenden gesellschaftlichen Umgangsformen geführt, die das Siegel der abendländischen Christenheit tragen und an die Talleyrand nach den durch die Französischen Revolution verursachten Umwälzungen mit den Worten erinnerte: „Wer das Ancien Régime nicht gekannt hat, kennt nicht die Lieblichkeit des Lebens.“
Ausgerechnet aus diesem Frankreich, das einst das „allerchristlichste Reich“ genannt wurde und als Vorbild kultiviertester Höflichkeit galt, geht nun diese satirische, atheistische und anarchistische, neobarbarische, intellektuelle Ausgeburt hervor, die sich „Charlie“ nennt und deren Ziel es ist, alles, was heilig, respektabel, nobel und würdevoll ist, zu zerstören. Mit dem Propheten der Weheklagen möchte man da ausrufen: Quomodo obscuratum est aurum, „Wie dunkel ist das Gold geworden!“ (Jeremias IV, 1).
Wenn wir uns also dem Gebet für die Seelen der Mitarbeiter des „Charlie Hebdo“ und der übrigen Opfer der mörderischen muslimischen Barbarei anschließen und Gott bitten, er möge ihnen gnädig sein, lehnen wir doch gleichzeitig die revolutionäre kulturelle Roheit ab, die diese Zeitschrift zur Schau stellt. Wir erklären daher kategorisch: „Ich bin NICHT Charlie“. Was sind wir dann aber? Einfach Katholiken, die angesichts der vielfältigen Neobarbarei unserer Tage behaupten, dass es auf diese nur eine Antwort gibt: Den Kampf nämlich für die Wiederherstellung der wahren, das heißt der christlichen Zivilisation.