Foto: Wolfgang Sauber – Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0 |
Aus der Ansprache von Papst Benedikt XVI. am 29. September 2010
Mechthild wird 1241 oder 1242 auf Burg Helfta geboren; sie ist die dritte Tochter des Freiherrn. Mit sieben Jahren besucht sie mit der Mutter ihre Schwester Gertrud im Kloster Rodersdorf.
Von dieser Umgebung ist sie so fasziniert, dass sie innig wünscht, ihr anzugehören. Sie tritt als Klosterschülerin ein und wird 1258 Nonne in dem Konvent, der in der Zwischenzeit nach Helfta übergesiedelt ist, auf das Anwesen derer von Hackeborn. Sie zeichnet sich aus durch Demut, Eifer und Liebenswürdigkeit, durch Reinheit und Unschuld des Lebens, durch Vertrautheit und Tiefe, mit denen sie die Beziehung zu Gott, zur Jungfrau Maria, zu den Heiligen lebt. Sie ist mit hohen natürlichen und geistlichen Eigenschaften ausgestattet: »Wissen, Intelligenz, Kenntnis von Sprache und Literatur, eine wunderbar liebliche Stimme: Unter all diesen Voraussetzungen konnte sie für das Kloster in jeder Hinsicht ein wahrer Schatz sein« (Mechthild von Hackeborn, Liber specialis gratiae, Vorwort). So wird die »Nachtigall Gottes« – wie sie genannt wird – bereits in sehr jungen Jahren Leiterin der Klosterschule, Chorleiterin und Novizenmeisterin. Sie führt diese Dienste mit großer Begabung und unermüdlichem Eifer aus, nicht nur zum Wohl der Nonnen, sondern aller, die aus ihrer Weisheit und Güte schöpfen wollen.
Von der göttlichen Gabe der mystischen Schau erleuchtet, verfasst Mechthild zahlreiche Gebete. Sie ist eine Lehrerin, die der kirchlichen Lehre treu und von großer Demut ist. Sie ist Ratgeberin, Trösterin, leitende Hand bei der Entscheidungsfindung. Über sie kann man lesen: »Sie teilte die Lehre in einer solchen Fülle aus, wie man es im Kloster noch nie gesehen hatte und wohl leider – so befürchten wir – auch nie mehr sehen wird. Die Schwestern scharten sich um sie, um das Wort Gottes zu hören, wie um einen Prediger. Sie war für alle Zuflucht und Trost und besaß durch Gottes Gnade die außerordentliche Gabe, die Geheimnisse eines jeden Herzens offen darzulegen. Viele Personen – nicht nur im Kloster, sondern auch fremde Ordensleute und Laien, die von weither gekommen waren – bezeugten, dass diese heilige Jungfrau sie von ihren Nöten befreit hatte und sie niemals so viel Trost empfunden hatten wie bei ihr. Außerdem verfasste und lehrte sie viele Gebete. Wollte man sie alle zusammenfassen, so wären sie umfangreicher als das Buch der Psalmen« (ebd., VI, 1).
1261 kommt ein fünfjähriges Mädchen namens Gertrud in den Konvent: Sie wird der Obhut der knapp 20jährigen Mechthild anvertraut, die sie erzieht und im geistlichen Leben anleitet und sie schließlich nicht nur zur hervorragenden Schülerin, sondern auch zu ihrer Vertrauten macht. 1271 oder 1272 tritt auch Mechthild von Magdeburg in das Kloster ein. So nimmt der Ort vier große Frauen auf, zwei mit dem Namen Gertrud und zwei mit dem Namen Mechthild: der Ruhm des deutschen Klosterlebens. In dem langen Leben, das sie im Kloster verbringt, wird Mechthild unablässig von starken Leiden heimgesucht, denen sie die harte Buße hinzufügt, die sie für die Bekehrung der Sünder auf sich nimmt. Auf diese Weise hat sie bis zum Lebensende Anteil am Leiden des Herrn (vgl. ebd., VI, 2). Das Gebet und die Betrachtung sind der lebenswichtige »Nährboden« ihrer Existenz: die Offenbarungen, ihre Lehren, ihr Dienst am Nächsten, ihr Weg im Glauben und in der Liebe haben hier ihre Wurzel und ihr Umfeld. Im ersten Buch des Werkes Liber specialis gratiae tragen die Verfasserinnen das zusammen, was Mechthild ihnen anvertraut, geordnet nach den Festen des Herrn, der Heiligen und insbesondere der allerseligsten Jungfrau Maria. Die Fähigkeit dieser Heiligen, die Liturgie in ihren verschiedenen – selbst den einfachsten – Teilen zu leben und sie in das tägliche Klosterleben hineinzunehmen, ist beeindruckend. ….
Beim liturgischen Gebet hebt Mechthild die kanonischen Horen, die Feier der heiligen Messe, vor allem die heilige Kommunion, besonders hervor. Hier kam oft eine Verzückung über sie, in inniger Vertrautheit mit dem Herrn in seinem brennenden und liebenden Herzen, in einem wunderbaren Zwiegespräch, in dem sie um innere Erleuchtung bittet und besondere Fürsprache für ihre Gemeinschaft und ihre Mitschwestern hält. Im Mittelpunkt stehen die Geheimnisse Christi, auf die die Jungfrau Maria ständig verweist, um den Weg der Heiligkeit zu beschreiten: »Wenn du nach der wahren Heiligkeit strebst, dann bleib bei meinem Sohn; er selbst ist die Heiligkeit, die alles heiligt« (ebd., I,40). In ihre innige Vertrautheit mit Gott ist die ganze Welt einbezogen, die Kirche, die Wohltäter, die Sünder. Für sie vereinen sich Himmel und Erde.
Ihre Visionen, ihre Lehren, die Ereignisse ihres Lebens werden mit Ausdrücken beschrieben, die liturgische und biblische Anklänge haben. So erfasst man ihre tiefe Kenntnis der Heiligen Schrift, die ihr tägliches Brot war. Sie nimmt ständig darauf Bezug, indem sie die in der Liturgie gelesenen biblischen Texte hervorhebt und ihnen Symbole, Begriffe, Landschaften, Bilder, Personen entnimmt. Ihre Vorliebe gilt dem Evangelium: »Die Worte des Evangeliums waren für sie eine wunderbare Speise und weckten in ihrem Herzen so süße Empfindungen, dass sie oft aus Begeisterung mit dem Lesen nicht aufhören konnte… Sie las diese Worte so hingebungsvoll, dass sie bei allen Andacht hervorrief. Auch beim Chorgesang war sie völlig in Gott versunken und von solcher Hingabe erfasst, dass sie manchmal ihre Empfindungen durch Gesten zum Ausdruck brachte… Andere Male kam gleichsam eine Verzückung über sie, und sie merkte nicht, wenn man sie rief oder anfasste, und erlangte nur schwer das Bewusstsein für die Außenwelt zurück« (ebd., VI, 1). In einer der Visionen empfiehlt Jesus selbst ihr das Evangelium; er öffnet die Wunde seines liebenden Herzens und sagt zu ihr: »Bedenke, wie groß meine Liebe ist: Wenn du sie kennenlernen willst, so findest du sie nirgends besser zum Ausdruck gebracht als im Evangelium. Niemals wurden stärkere und liebevollere Worte vernommen als diese: ›Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt‹ (Joh 15,9)« (ebd., I, 22). ….
Ihre Schülerin Gertrud beschreibt eindrücklich die letzten Augenblicke im Leben der hl. Mechthild von Hackeborn. Sie waren sehr hart, aber erleuchtet von der Gegenwart der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, des Herrn, der Jungfrau Maria, aller Heiligen, auch ihrer leiblichen Schwester Gertrud. Als die Stunde kam, da der Herr sie zu sich nehmen wollte, bat sie ihn, um des Heils der Seelen willen noch weiter im Leiden leben zu dürfen, und Jesus freute sich über dieses letzte Zeichen der Liebe.
Mechthild war 58 Jahre alt. Der letzte Abschnitt ihres Weges war von acht Jahren schwerer Krankheit gezeichnet. Ihr Werk und ihr Ruf der Heiligkeit verbreiteten sich weit. Als ihre Stunde gekommen war, »sagte der allmächtige Gott, der einzige Trost der Seele, die ihn liebt, zu ihr: ›Venite vos, benedicti Patris mei… Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, nehmt das Reich in Besitz‹, und nahm sie auf in seine Herrlichkeit« (ebd. VI,8).
Die hl. Mechthild von Hackeborn vertraut uns dem Heiligsten Herzen Jesu und der Jungfrau Maria an. Sie lädt uns ein, den Sohn durch das Herz der Mutter zu loben und Maria durch das Herz des Sohnes: »Ich grüße Euch, o ehrwürdige Jungfrau, in jenem lieblichen Morgentau, der aus dem Herzen der Allerheiligsten Dreifaltigkeit sich in Euch verbreitet hat; ich grüße Euch in der Herrlichkeit und in der Freude, in der Ihr jetzt auf ewig lebt – Ihr, die Ihr vor allen anderen Geschöpfen der Erde und des Himmels erwählt wurdet noch vor der Erschaffung der Welt! Amen« (ebd., I,45).